«Jodeln ist wieder in»

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Gertrud Rothe und Mario Hasler blicken beim Gespräch auf ihre Anfangszeiten als Volksmusiker zurück. (Bild: Corina Tobler)

Sie ist 75, er 27 Jahre alt – und beide haben sich dem Jodel verschrieben. Am Wochenende feiern Gertrud Rothe, die Älteste im Jodelchörli Mörschwil, und Dirigent Mario Hasler, der Jüngste im Verein, den 20. Geburtstag ihres Chors.

CORINA TOBLER

Frau Rothe, was macht das Jodelchörli Mörschwil für Sie speziell?

Gertrud Rothe: Singen tut einfach der Seele gut. Gerade wenn man älter wird, belastet einen das Leben hin und wieder. Beim Singen vergisst man das. Dazu kommt, dass es im Verein alle wirklich gut miteinander haben.

Mario Hasler: Stimmt, und die Proben am Donnerstagabend sind für niemanden ein Muss. Alle kommen gern, und sie lassen den Rucksack mit den Alltagsproblemen draussen. Aussergewöhnlich ist auch die gute Durchmischung mit vielen Jungen und einem Altersdurchschnitt von nur 41 Jahren.

Damit sind Sie einer der jüngsten Chöre überhaupt. Auch von Nachwuchsproblemen, mit denen viele Chöre kämpfen, ist das Jodelchörli frei. Worauf führen Sie das zurück?

Rothe: Ich weiss von den Jodelchören in der Stadt St. Gallen, dass sie Sänger suchen. Dort ist aber das Problem, dass sie viel älter sind als wir. Wenn bei uns jemand Junges eintritt, ist er oder sie nicht allein.

Hasler: Zudem haben wir ein eigenes Kinderchörli, das jeweils für Anlässe wie das Jubiläumsfest vom Wochenende probt und dort auftritt. Es sind lauter Kinder unserer Mitglieder, die sich so kennenlernen und oft später Interesse an einem Beitritt haben. Wir haben tatsächlich noch nie Mitglieder suchen müssen, ja konnten sogar teilweise niemanden mehr aufnehmen.

Wie sind Sie eigentlich zum Jodeln gekommen?

Rothe: Über meine Mutter. Ich bin im Baselbiet in Augst in einer Bauernfamilie aufgewachsen. Immer wenn meine Mutter sich mit ihren Geschwistern traf, standen sie zusammen und sangen – vierstimmig. Später hat meine ältere Schwester den Leiter zweier Jodel- und eines Trachtenclubs geheiratet. Er hat uns Lieder beigebracht.

Wie sind Sie nach Mörschwil gekommen?

Rothe: Durch die Liebe zu meinem Mann Karl. Jetzt wohne ich fast 50 Jahre hier. Als das Jodelchörli gegründet wurde, fragten sie mich, ob ich nicht mitsingen wolle. Seit 1996 bin ich dabei.

Da waren Sie, Herr Hasler, gerade mal acht Jahre alt. Hat Sie Volksmusik damals schon interessiert?

Hasler: Ja, ich fing mit sieben an, Schwyzerörgeli zu spielen. Wieso, weiss ich nicht. In der Familie liegt es jedenfalls nicht. Ich weiss aber noch, wie ich als Sechsjähriger meine Mutter ein Poesiealbum ausfüllen liess, wie sie die Kinder früher untereinander austauschten. Auf die Frage, was ich werden will, musste sie schreiben: Appenzeller (lacht). Irgendwie bin ich das heute sogar teilweise. Wir Männer tragen im Chörli die Appenzeller Tracht und ich bin jeweils als Silvesterchlaus unterwegs.

Viele Junge interessieren sich für andere Musikstile als Jodeln und Volksmusik. Ist Ihnen das Brauchtum nie verleidet?

Hasler: Nein. Klar, in der Oberstufe war das nicht mehr so cool. Da hörte ich ein paar Jahre auf mit dem Schwyzerörgeli, fing dann aber wieder an. Über meinen Schwager, der Gründungsmitglied im Jodelchörli ist, kam ich zum Chor, in dem ich seit 2009 singe.

Ein Jahr später stiegen Sie zum Dirigenten auf. Wie haben Sie das gemeistert?

Hasler: Es war eine Herausforderung. Ich konnte keine Noten lesen (schmunzelt). Das musste ich dann im Eiltempo lernen. Ich gebe aber zu, dass ich bis heute jede Note anschreibe und dann die einzelnen Stimmen auswendig lerne. Mittlerweile geht’s aber ganz flott, auch am Klavier bekomme ich einige Akkorde hin.

Rothe: Er macht es wirklich tiptop. Er ist immer vorbereitet und kann die Leute mitziehen.

Frau Rothe, wie hat sich das Jodelchörli in den vergangenen 20 Jahren verändert?

Rothe: Kaum. Es macht nach wie vor einfach Spass. Die Lieder sind aber teils anders, von neuen Komponisten und komplizierter.

Hasler: Ja, es geht in den heutigen Texten nicht mehr nur um Berge und Blüemli, sondern auch um Alltagsthemen. Wir wagen auch ab und zu Experimente, sind etwa mal mit einer Blasmusik aufgetreten. Wichtig ist, dass dabei, wie auch bei der Liedauswahl, alle Mitglieder mitreden dürfen.

Wo jodeln Sie denn am liebsten?

Rothe: Ich singe sehr oft, früher mit den Kindern im Auto auf dem Weg ins Baselbiet, damit ihnen nicht schlecht wurde. Heute in der Küche oder beim Fensterputzen. Nur unter der Dusche nicht.

Hasler: Das mit dem Auto kenne ich. Ganz toll ist auch, mit Kollegen z’Berg zu gehen und oben zu jodeln. Ganz traditionell halt.

Rothe: Oh ja, das wollte ich auch schon oft. Aber alleine traue ich mich halt nicht (lacht).

Sie glauben also, dass das Jodeln Zukunft hat?

Rothe: Auf jeden Fall, ich finde sogar, es hat einen Aufschwung gegeben in jüngster Zeit.

Hasler: Ja, Brauchtum und damit auch das Jodeln sind wieder in.

 

St. Galler Tagblatt, 30. April 2015